“Erst in Deutschland habe ich mich als Schwarze Frau in der eigenen Haut wohlgefühlt.”

Ob du seit zwei Jahren oder in der zweiten Generation in Deutschland lebst, macht keinen Unterschied. Wer "anders" aussieht wird mit Fragen wie "Woher kommst du wirklich?" regelmäßig verbal ausgebürgert. Nichtsdestotrotz gibt es Situationen und Begegnungen, die ein Zugehörigkeitsgefühl schaffen. Vier BIPoC erzählen.

Protokoll: Anna K. Baur, Fotos: Joanna Legid

Man muss nicht den Springerstiefel im Gesicht spüren, um von Rassismus betroffen zu sein. Es gibt subtilere Arten von Rassismus. Es gibt subtilere – nicht immer beabsichtigte – Arten, einer Person das Gefühl zu geben, nicht dazuzugehören. Die Vermieterin, die dir bei der Wohnungsübergabe sagt, dass es dir gefallen werde, in Neukölln zu leben, weil hier viele Migranten wohnen würden. Die ältere Frau im Bus, die dich auf Englisch mit stark deutschem Akzent anspricht: „It’s very good that you are here in Germany!“. Der Arzt, der versucht, zu erraten, aus welchem Land du kommst – ungefragt. Am Ende bleibt häufig ein “die” und ein “wir”. Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zeigt: Über die Hälfte der Bevölkerung ist der Meinung, dass Deutschland ein Einwanderungsland sei und Einwanderung das Land wirtschaftlich, gesellschaftlich und kulturell bereichern würde. Doch wie kann die Bereicherung wechselseitig stattfinden? Welche Reaktionen, Erlebnisse und Umgangsweisen stärken den Gemeinschaftsgedanken?

 

Folgend berichten vier BIPoC von einer inklusiven Erfahrung in ihrer Heimat/Wahlheimat:

 

Olamiju Fajemisin, 21, freie Journalistin

Als ich vor zwei Jahren nach Berlin gezogen bin, war ich zum ersten Mal außerhalb der nigerianischen Diaspora Londons. Ich wuchs dort auf. Meine Eltern sind Yoruba. Ich bin Yoruba. Unsere Community dort ist Yoruba. Alle in meinem Umfeld haben es geliebt, in unsere Kirche zu gehen. Ich nicht. Alle Mädchen haben sich über ihre wachsenden Pos und Brüste gefreut. Ich sah aus wie eine Bohnenstange. Schminken konnte ich mich auch nicht richtig. Ich habe dem Schönheitsideal der Community nicht entsprochen. Ich hatte kaum schwarze Freundinnen und habe nie so richtig dazu gehört. Erst in Berlin habe ich den Kontakt zu Women of Color gesucht. Es gibt hier Bibliotheken, Gruppen, Workshops und Events für Afroeuropäer*innen, die in Deutschland leben. In London habe ich solche Angebote noch nie gesehen. Durch die neuen Erfahrungen fühle ich mich so viel wohler in meiner Haut. In Berlin habe ich meine Leute gefunden – Mitglieder der afrodeutschen Community, die mich interessanterweise dazu gebracht haben, mich mehr mit meiner afrobritischen Seite zu identifizieren. Auf eine andere, freiere Art und Weise.

„Ich würde immer erst sagen: ‘Ich bin Yoruba`, bevor ich sage, dass ich Nigerianerin bin“, erklärt die freie Journalistin Olamiju Fajemisin. Weil sie dank Chimamanda Ngozi Adichies „Half of a Yellow Sun“ realisiert habe, dass Großbritannien Nigeria aus kolonialen Interessen heraus erschaffen hat.

„Ich bin deutsch. Ich bin Kanake. Und ich bin Ghanaer“, erzählt der Schauspieler Ben Andrew Rumler. Er habe gelernt sich anzupassen und fühle sich manchmal wie ein Chamäleon.

Ben Andrew Rumler, 19, Schauspieler

In „Spotlight“ (Nick, seit 2016, Anm. d. Red.), der letzten Serie, die ich abgedreht habe, spiele ich einen 15-jährigen Schüler der Berlin School of Arts. Er heißt Samuel und träumt davon, Tänzer zu werden. Die Rolle war nicht geplant und ich sah eigentlich zu alt dafür aus, aber die Produktion hat mich trotzdem genommen. Das Team war so begeistert, dass sie mich nachträglich ins Drehbuch schrieben. Ich hatte das Gefühl, dass sie mich bezüglich meines Könnens ausgewählt haben und nicht, weil ich als „Quotenschwarzer“ herhalten sollte. Leider läuft es nicht immer so. Als schwarzer Schauspieler bekommt man häufig Anfragen für die Rolle des Drogendealers. Ich habe so eine Rolle einmal angenommen, aber danach nie wieder. Ich achte mittlerweile sehr auf das Drehbuch. Wenn die Rolle ein schlechtes Bild von BIPoC wiedergibt oder Stereotypen bedient, lehne ich sie ab.

Ernest Nshiime, 27, Student

Ich komme aus Uganda – einem Land, das für neue Ideen nicht sehr offen ist. Als ich das erste Mal nach Deutschland kam, war ich überrascht davon, wie aufgeschlossen die Gesellschaft hier ist. Natürlich wusste ich davor schon, dass der Unterschied zu Uganda groß sein würde, aber verständlich wird das Ausmaß erst, wenn man selbst die Erfahrung macht. Eine der anschaulichsten Erinnerungen an meine Ankunft in Berlin war das Wochenende vor dem Christopher Street Day. Ich komme aus einem sehr konservativen Land und so kann man sich den Crashkurs in Weltoffenheit vorstellen, den ich bekommen habe. Mit der Zeit habe ich Freunde kennengelernt, bin mit ihnen auf Partys gegangen. Sie haben mir geholfen, meine Sichtweise, die Art, wie ich über die Gesellschaft denke, zu verändern. Mit dem Wertesystem von meinem Herkunftsland kann ich mich inzwischen nicht mehr identifizieren. Uganda ist das Land meiner Kindheit und Deutschland das Land meines Erwachsenendaseins.

“Es gibt Grundwerte, die über die Grenzen hinausgehen. Ich fühle mich überall zu Hause, wo ich Freundschaft, Liebe und Aufgeschlossenheit finden kann”, sagt Ernest Nshiime. Er kommt aus Uganda und studiert seit 2013 in Berlin.

„Ich glaube seit ich in Deutschland bin, identifiziere ich mich in erster Linie als schwarze Frau“, sagt Anna Dushime. Ihre Haut sei das erste was Leute bemerken und die Wahrnehmung habe sie dann übernommen.

Anna Dushime, 30, freie Journalistin

Wir sind, als ich 11 Jahre alt war, von Ruanda nach Deutschland gekommen. In einen kleinen Ort am Niederrhein. Jeder kennt sich dort. Plötzlich taucht da eine schwarze Familie auf – die Leute haben uns am Anfang kritisch beäugt, aber letztendlich haben sie uns angenommen und meine Geschwister und ich hatten eine relativ normale Kindheit. Auch die Lehrer in der Schule waren nett und kooperativ. Ich bin direkt aufs Gymnasium gekommen und hatte ein Jahr Zeit, Deutsch zu lernen. Die Lehrer haben die Arbeiten auf Englisch übersetzt und sich mit mir gefreut, als ich endlich Deutsch gesprochen habe. Aber ob mir diese Erfahrungen ein Zugehörigkeitsgefühl gegeben haben? Nicht wirklich. Die deutsche Gesellschaft, in der ich mich gerne sehen würde, sollte viele Facetten haben. Die Leute, die nicht so aussehen wie ich, fürchten sich davor. Sie denken, dass eine diversere Gesellschaft für sie Nachteile hat. Dass sie dadurch auf etwas verzichten müssen. Ich denke nicht, dass das der Fall ist. Ich denke, es ist eine Bereicherung. Ich denke, es gibt viele verschiedene Arten, deutsch zu sein.