“Im Vergleich zu meiner Familie in Brasilien bin ich unfassbar privilegiert.”

Wie ist die Lebensrealität von Schwarzen Frauen in Brasilien? Fragt sich Poliana Baumgarten. In ihrem Dokumentarfilm "Preta" sucht die brasilianisch-deutsche Videojournalistin bei den Frauen in ihrer Familie nach Antworten. Ein Protokoll über die Entstehung des Films.

Protokoll: Anna K. Baur 

In meiner Kindheit und Jugend war Brasilien für mich ein Ort der Sicherheit, an dem ich nicht angestarrt wurde und mir fremde Menschen nicht in die Haare gefasst haben. An dem ich so gut wie keine Rassismuserfahrung gemacht habe. Ich habe mich dort immer sicherer als in Deutschland gefühlt. Fast meine ganze Familie lebt in Brasilien. Ich besuche sie fast jedes Jahr.

Als ich älter wurde, hat sich mein Blick geändert. Auch weil in Deutschland und anderen europäischen Ländern, Brasilien zum einen als ein immer sonniges Land, mit lebensfrohen Menschen und gutem Essen, wahrgenommen wird und zum anderen wird in den Medien häufig Elend, Armut und Gewalt thematisiert. Beide Realitäten lassen sich schwer vereinbaren. Warum gibt es so viel Gewalt, so viel Armut, so viel Elend in Brasilien? 2013 habe ich das Land zum ersten Mal mit anderen Augen gesehen. Das Bild von unterschiedlichen Ethnien, die zusammenleben, ohne Rassismus zu erfahren, war der größte Trugschluss.

Die Sklaverei in Brasilien wurde erst im Jahre 1888 abgeschafft. Die Auswirkungen sind immer noch strukturell verankert. Nicht weiße Menschen werden marginalisiert, haben kaum Möglichkeiten aus ihren Lebensrealitäten auszubrechen. Sie haben kaum die Möglichkeit in eine Machtpositionen zu kommen. Das Echo der Kolonialzeit hallt bis in die Gegenwart. Man vernimmt es überall. Die Menschen sind stumm oder man macht sie stumm. Diejenigen, die die Energie aufbringen, sich aufzulehnen, werden radikal eliminiert, so wie Marielle Franco als bekanntestes Beispiel. Meine brasilianische Familie ist eigentlich nicht besonders politisch. Sie haben nicht die nötigen Ressourcen, um sich zu informieren. Sie haben keine Energie übrig, um sich zu bilden. Sie sind mit existenziellen Problemen beschäftigt. Da ist es schwierig sich intellektuellen Themen zu widmen.

Als ich mich, nach meinem Erwachen, mehr damit beschäftigt habe, wie sich die Population in Brasilien zusammenstellt und wer davon sichtbar ist, habe ich mich entschlossen mit meiner Familie über ihre Rassismuserfahrung, zu sprechen. Das haben wir davor nie gemacht! Als ich das erste Mal mit ihnen darüber geredet habe, habe ich gemerkt wie viel sie eigentlich dazuzusagen haben. Aber ich wollte nicht nur zuhören, sondern ihnen auch die Möglichkeit geben, von der Öffentlichkeit gehört zu werden. In Deutschland fühle ich mich als Schwarze Frau irgendwo zwischen ‘marginalisiert werden’ und ‘privilegiert sein’. Im Vergleich zu meiner Familie in Brasilien bin ich unfassbar privilegiert! Aufgrund der Gesellschaftsstruktur in Brasilien ist es viel schwieriger, jemals sichtbar zu werden. Deshalb habe ich 2018 ‘Preta’ gedreht.

‘Preta’ ist für mich ein Dankeschön an die Frauen meiner Familie. Ich verstehe mich auch als ‘Preta’. Ja, man kann ‘Preta’ mit ‘Schwarze Frau’ übersetzen und ‘Preto’ mit ‘Schwarzer Mann’.