Protokoll: Anna K. Baur
Karosh Taha, Schriftstellerin
Jedes Jahr: Die Auseinandersetzung mit einem Fest, das mich nicht interessiert, weder persönlich noch auf beruflicher Ebene. Jedes Jahr die Frage, ob ich Weihnachten feiere. Jedes Jahr verneine ich die Frage. Aber ich erinnere mich an das erste Jahr in Deutschland, 1997, zum ersten Mal sehen meine Geschwister und ich die vielen lichtverhangenen Innenstädte, Spekulatius in den Supermärkten, die ersten geschmückten Tannenbäume, zum ersten Mal singen wir in der Grundschule Weihnachtslieder, wir verstehen sie nicht, aber wir können sie auswendig. Wir sind euphorisch, wir fordern von unseren Eltern einen geschmückten Tannenbaum für unser Wohnzimmer, wir bekommen ihn. Ich erinnere mich, später wird meine Mutter schimpfend die Nadeln vom Teppich zupfen. Die Jahre vergehen und Weihnachten kenne ich nur aus amerikanischen Komödien: Mir wird vermittelt, es sei das Fest der Liebe, die Familie, obwohl zerstritten, käme in diesen Tagen zusammen: Es sei die Zeit, sich auf das wichtigste zu besinnen: die Familie, unsere Nächsten. Ich werde das nie spüren, ich sehe nur laute, betrunkene Menschen auf dem Weihnachtsmarkt, ich sehe nur die Leute hektisch einkaufen, lange Schlangen vor den Kassen und jedes Jahr zwischen ihnen meine Mutter, die Spekulatius schon im September kauft. Nur das Gebäck bringt uns dem Fest näher, ein Fest, das von der Kirche erfunden als der Geburtstag Jesu gefeiert wird. Früher und später: ein Kumpel, später auch eine Freundin, werden zum Feiern eingeladen. Früher standen wir an der Raucherecke und fragten ihn: Und? Wie war’s? Was machen die Deutschen an Weihnachten, hinter den verschlossenen Türen? Und später, nach fünfzehn Jahren, frage ich immer noch, mit ähnlicher Neugier: Was machen die Deutschen an Weihnachten? Und beide erzählten: Sie essen, sie trinken, sie beschenken sich. Irgendwie enttäuschend, nicht wie im Film, wie alles nicht wie im Film ist.
Yasmine C. M'Barek, Studentin des Wirtschaftsjournalismus, freie Journalistin
Ich liebe Weihnachten. Und spreche ich mit Freund*innen darüber, die christlich sozialisiert wurden, dann sagen sie das Gleiche über Ramadan und Bayram. Und genau die Herzlichkeit und Güte der Tradition und dessen Austausch sind, der Gedanke, der in mir ist, wenn Weihnachten ist. Ich hatte das Privileg innerhalb meiner Sozialisierung mit Sachen wie Adventskalendern, Weihnachtsbasteln, Kekse backen oder ähnlichem aufgewachsen zu sein, und habe innerhalb der Weihnachtszeit keine Erfahrungen gemacht, die dafür sorgten, dass ich eine negative Konnotation damit habe. Gefeiert haben wir es so halb, es gab bei uns Geschenke, denn meine Mutter ist katholisch gewesen bevor sie konvertierte, dieser Teil meiner Familie feiert Weihnachten. Ich assoziiere es teils auch mit Zusammenkommen der Familie, auch wenn sich durch gesellschaftlich/politische Probleme eine Spaltung ergeben hat, aber dies ist ein anderes Thema. Unsere Eltern schränkte diese Teilhabe auch nie ein, sie wussten wie schmerzlich es sein könnte, eine Art der Ausgrenzung zu erleiden. Eine große Kritik habe ich nur stets an der eurozentrischen Vereinnahmung von Weihnachten, als Narrativ der Rechten: Sie wollen weiß= christlich= Weihnachten etablieren und spielen damit, dass der Islam sowie die Migration Weihnachten eliminieren. Dem ist nicht so, und das nicht Feiern ist keine Vereinnahmung. Man merkt bestimmten Debatten jedoch an, dass sie dieses Narrativ aufgreifen. In meinem nicht christlichen, migrantischen Umfeld werden viele weihnachtliche Dinge getan wie Weihnachtsmarkt und -feiern, Wichteln oder ähnliches. Denn Weihnachten ist bereits der Konsumgipfel der atheistischen Welt, es wirkt manchmal fast so als würde diese es mehr vereinnahmen. Dass ich mich in der Weihnachtszeit in Deutschland nie ausgegrenzt fühlte, lag auch daran, dass ich bis jetzt stets mitgedacht wurde. Eingeladen, mitgenommen oder beschenkt, fernab von meiner eigenen religiösen Einstellung. Dies empfinde ich bis heute als Glück, ich weiß aber auch, dass das ein Privileg ist.
Ayesha Khan, Netzaktivistin und freie Autorin
Weihnachtszeit hieß bei uns immer Familienzeit. Das ganze Jahr über wurde gespart, um sich dann mit der gesamten Familie bei den Großeltern zu treffen. Da kamen für eine Woche Verwandte aus Dänemark, England und ganz Deutschland zusammen, um in der 4-Zimmer-Wohnung meines Onkels, bei dem meine Großeltern lebten, auf Matratzen auf dem Boden zu schlafen. Bis tief in die Nacht wurden aktuelle News aus der Community und Familientratsch ausgetauscht. Wir Kids spielten Konsole, gingen auf den Winterdom (Jahrmarkt in Hamburg), Schlittschuhlaufen oder Bowlen. Wenn die Erwachsenen keinen Urlaub bekommen hatten, schickten sie ihre Kinder. Die Tanten und Onkel, die da waren, kochten von morgens bis abends leckeres indisches Essen und nach dem wir uns an Silvester das Feuerwerksspektakel an der Alster angeschaut hatten, mussten die meisten am 1. Januar auch schon wieder zurück nach Hause. Lohnarbeit rief.
Wir feierten damals Weihnachten, aber auf unsere Art. Ich stellte mir vor, dass es wie bei den weißen Deutschen sei. Nur ohne Weihnachtsbaum und ohne Geschenke. Aber dafür mit viel Familie – und den dazugehörigen Konflikten halt. Je älter wir wurden, desto seltener wurden diese Treffen. Die Kinder gingen weg zum Studieren, heirateten, gründeten eigene Familien.
Wir wurden auch kritischer. Fingen an Dinge zu hinterfragen und reflektieren. Plötzlich war nicht mehr alles nur besinnlich. Ich erinnere mich daran, wie ich als Werkstudentin in einer großen deutschen Versicherung von den Kolleg*innen gefragt wurde, ob ich es nicht auch unfair finden würde, dass „Muslime und Türken“ an Weihnachten freihätten. „Wer nicht Weihnachten feiert, der soll an Weihnachten auch nicht freihaben.“ Es war natürlich nicht meine erste Erfahrung mit offenem Rassismus. Ich habe auch schon gewaltvollere Erfahrung gemacht. Aber es war die erste Erfahrung, in der man mir was Wichtiges nehmen wollte: Zeit mit meiner Verwandtschaft. Die Erinnerungen an eine sorglose Zeit zum Jahresende. Dazu diese Anspruchshaltung, als würden meine Eltern nicht arbeiten und hätten keine Feiertage verdient. Als hätten wir Alternativen. Als wäre Eid/Bayram ein gesetzlicher Feiertag, an dem man selbstverständlich zu Hause bleiben könnte.
Mehr oder weniger gezwungenermaßen wurde mir bewusst, dass auch die Weihnachtszeit ein Teil meiner Identität ist, dass wir Traditionen und Rituale entwickelt haben, die ich nicht mehr missen will. Wenn ich an Weihnachten denke, denke ich an Duft von gebrannten Mandeln vom Weihnachtsmarkt, an das Essen meiner Mutter, an unsere deutschen Nachbar*innen, die mir und meinem Bruder immer am Nikolaustag was in die Stiefel legten. Ich denke aber auch an schiefe Blicke auf dem Weihnachtsmarkt, an rassistische Verkäufer*innen in Geschäften während der Weihnachtszeit und an ignorante und rassistische Kolleg*innen. Daran, wie Eltern von Mitschüler*innen den Raum verließen, weil ich im Chor Weihnachtslieder mitsang. Am meisten aber vermisse ich die Zeit bei meiner Großmutter. Und den Kakao meiner Mutter.
Linda Rachel Sabiers, Kolumnistin
Unter uns: Ich bin das klassische Weihnachtsopfer. Kein Opfer im biblischen Sinne – ich verfalle lediglich Jahr für Jahr der Coca-Cola-Weihnachtsindustrie. Sobald das erste „Hohoho“ erklingt, wird mein Herz warm. Ich liebe diesen Kitsch außerhalb meines Zuhauses, in dem noch nie ein Weihnachtsbaum stand. Ich bin Jüdin, Tochter einer jüdischen Mutter und eines nichtjüdischen Vaters, und bin mit Chanukka aufgewachsen. Oder wie ich in Deutschland seit eh und je sagen muss: das jüdische Weihnachten. Die wahrscheinlich einzig akzeptierte Erklärung. Alles andere ist, besonders den jungen, atheistischen, religionskritischen jungen Deutschen, zu abstrakt: So muss ich davon ausgehen, dass mein Gegenüber sich einen Weihnachtsbaum mit funkelnden Davidsternen vorstellt, wenn ich von unserem „jüdischen Weihnachten“ erzähle, an dem wir, wie immer, unser Fortbestehen feiern und dann essen.
Ich fühle mich an Weihnachten nicht ausgeschlossen. Wenn überhaupt, dann nicht eingeladen, da ich das ganze Spektakel seit jeher von außen wahrnehme. Selbst dann, als ich vor einigen Jahren im Berliner Dom dem „Bach Weihnachtsoratorium“ lauschte, fühlte sich das Ganze wie ein Blick durchs Schlüsselloch in ein für mich verborgenes christliches Leben an.
Wir haben zu Hause nie Weihnachten gefeiert. Zum einen, weil sich meine Eltern beide dazu entschieden haben, dass eine Identität bereits schwierig genug ist, zum anderen, weil mein Vater das Weihnachten seiner Kindheit als traumatisch empfand und für sich entschloss, dass der Sieg einer kleinen judäischen Volksfront über die Hellenen im Jahr 164 v. Chr. ein besserer Feiertag ist als die Geburt Jesu. Daher feierten wir, so wie ich es heute auch tue, an acht Abenden im Winter das „jüdische Weihnachten“ und wurden selbst von in unser jüdisches Leben eingeweihten Nachbar*innen, Kolleg*innen und Freund*innen mit „frohe Weihnachten“ begrüßt. Auch wir leben nun mal im christlich-jüdischen Abendland, das einen Heiland feiert, der aus unserem Zirkus ausgetreten ist und seine eigene Religion gründete. Und für mich heißt es dieses Jahr wieder: no Jesus, no party.