Text: Nhi Le
Wir sind auf dem Spielplatz. „Nicht die Rutsche rückwärts hochklettern“ rufe ich und meine es ja doch nicht Ernst, denn das ist das, was ich genau hier doch auch gemacht habe. So vor 16 Jahren. Rutsche hochklettern, Schaukel eindrehen – das volle Programm. Mein Bruder rutscht ein paar Male, rennt dann zu mir, um sich einen Schluck Wasser zu holen. Ich drücke ihn kurz fest an mich, wuschel ihm durch die Haare und sage spaßeshalber: „Mein Baby.“ „Du weißt, ich bin kein Baby mehr“ protestiert er. Wir lachen und er spielt weiter.
„Eyyyy, was hab ich dir denn getan?“ ruft mein kleiner Bruder empört. Ein anderer Junge ist hinter ihm her. „Du bist so hässlich wie drei Bäume!“ „Und du – du bist eine Mülltonne.“ Schreit mein Bruder. „Du kannst ja nicht mal richtig sprechen!“ kommt es zurück.
„Du hast hier nichts zu suchen. Du bist so hässlich braun.“ „Was hab ich dir getan?“ Ich höre die Verzweiflung in seiner Stimme. „Du bist nur ein kleiner Fidschi.“
Mein Herz rast. Es fühlt sich an, als würde es sich durch Wände hämmern müssen. Ich stehe auf, steuer auf das Kind zu. Schrei es an. Dass es meinen Bruder in Ruhe lassen soll, ob er selbst als Toastbrot beleidigt werden wolle. Ob er sich damit stark fühlt? Was ihm das bringt? Bedröppelt huscht er zur Seite.
Ich liege auf der Couch. Mit Kopfschmerzen, Bauchschmerzen. Danke Psychosomatik. „Was ist?“ fragt mein kleiner Bruder. „Nichts, ich hab‘ nur etwas Bauchweh, aber sonst nichts.“ „Bist du krank“ „Ich glaube nicht.“ „Dann hab‘ ich die Lösung. Fast jeder Schmerz geht einfach weg, wenn man auf die Toilette geht und groß macht.“
Schön wär’s: Rassismus einfach wegscheißen. Das klingt im Endeffekt aber genau so plakativ, wie es ist. Damit ist niemandem geholfen. Ich bin immer noch sauer, aber natürlich nicht nur auf den Jungen vom Spielplatz. Vor allem nämlich auf seine Eltern, denen ich vor Ort gerne mal was gepfiffen hätte. Ein Kind ist nämlich erstmal nicht rassistisch. Von allein kommt es nicht auf solche Beleidigungen. Wer weiß, wie die Eltern drauf sind? Eltern, die es scheinbar okay finden, wenn der Junge allein von vier bis sieben auf dem Spielplatz rumhängt. Auch noch da ist, wenn schon längst alle gegangen sind?
Es ist ein Kreis – und es ist alles anstrengend. Doch will ich, dass mein Bruder ausgestoßen wird, weil er vermeintlich anders ist? Will ich, dass er diesen ganzen Frust runterschluckt, nur um dann mal irgendwann zu explodieren? Auf keinen Fall.
Fidschi, ganz hart ausgesprochen, das T betont und den Rest mit reichlich Spucke. Ein Wort, das ich schon ewig nicht mehr gehört hatte, aber auf dem Spielplatz genau so wehtat wie damals, als mich ein anderes Kind in der Schule so rief. Es ist der Begriff der Frauen, die so die Textilshop-Besitzer nennen. Es ist der Begriff den die Leute rufen, während sie ihre Augen zu Schlitzen ziehen. Es ist ein sehr ostdeutscher Begriff.
Bei Capri Sonne und Pizza setzen wir uns auf den Teppich. Ich erzähle, dass er sich keine Beleidigungen gefallen lassen muss. Frage ihn, ob ihm schon aufgefallen ist, dass er ja mehrere Sprachen spricht. Sage ihm, dass Menschen total unterschiedlich aussehen können, aber sie alle gleich wertvoll sind. Tue mich schwer und gehe auf den Jungen vom Spielplatz ein.
„Es gibt Leute, die denken, dass man aufgrund verschiedener Merkmale weniger wertvoll ist, als sie selbst. Aber das ist Blödsinn. Denk dran: Du spielst mit ihnen auf dem gleichen Spielplatz, bekommst die gleichen Hausaufgaben, lebst in der gleichen Stadt.“ Er fragt, ob es nicht Quatsch sei, dass er angemacht wird. Wegen des schwarzen Haars, der braunen Haut. Natürlich ist es Quatsch. Er runzelt mit der Stirn, zuckt dann mit den Schultern.
Wir tauschen uns aus und ich weiß nicht, was ich erklären soll und was nicht. Er schlägt vor, bei der nächsten Beleidigung einfach immer „selber“ zu rufen. Ich winke ab. Würde am liebsten zu „Lass mich in Ruhe, du Kartoffel“ raten. Bin mir unsicher. Wir einigen uns darauf, dass er sich generell zur Wehr setzen soll. Auch mal fragen, was dieses F-Wort überhaupt bedeutet. Meistens haben die Kinder dann nämlich keine Ahnung.
Am nächsten Tag steht ein Einkauf an. Wir machen uns bereit. „Ziehst du mal bitte noch deine Jacke an?“ „Kannst du sie mir anziehen, ich hab keine Lust!“ „Mach du das mal bitte, schließlich bist du doch kein Baby mehr.“ „Na was denn? Ständig nennst du mich dein Baby und jetzt bin ich doch keins?“ Ich stimme ihm zu und er zieht sich natürlich alleine an.
Auf seinem Arm funkelt ein Anker, aber da er ein sechsjähriger Junge und kein bärtiger Indie-Gitarrist ist, ist es gar nicht kitschig. Er grinst. „Wie gefällt es dir?“ „Schön sieht es aus, ich liebe es. Und weißt du auch warum?“ „Nein, sag’s mir!“
„Das Gold, Nhi. Es sieht so schön aus auf meiner braunen Haut.“
Über die Autorin Nhi Le