Text: Merve Kayikci
Vor fünf Jahren war ich noch eine, mehr oder weniger, normale Jurastudentin in Süddeutschland. Ich hatte mein Abitur gemacht und mich an Unis beworben, die weit genug weg waren, um auszuziehen aus dem Elternhaus – aber nah genug waren am Elternhaus, um an den Wochenenden nach Hause zu fahren. Mama packte mir jeden Sonntag einen Korb mit liebevoll zubereitetem und verpacktem Essen ein, wenn sie mich verabschiedete und nahm meine Tasche mit der Schmutzwäsche entgegen, wenn ich nach einer Woche Vorlesungssaal und Bibliothek wieder nach Hause kam.
Ich hatte ein Auto, einen Freund, einen normalen Nebenjob, habe Bafög bekommen, wollte mein Studium in Regelstudienzeit beenden und danach irgendwo eingestellt werden, wo man mich gut bezahlt.
Aber weil ich schon immer den Drang in mir hatte, diese Welt zu einem besseren Ort machen zu wollen, hätte mir dieses Leben nicht gereicht. Neben all diesen normalen Dingen führte ich damals schon seit längerem einen Blog und war aktiv auf Twitter und anderen Social-Media-Plattformen. Ich versuchte mich in die Gesellschaft einzubringen, meiner Stimme Gehör zu verschaffen und mich gegen Vorurteile gegenüber Muslim*innen einzusetzen. Ich betrachtete das alles als Ehrenamt oder als Hobby, das ich als Ausgleich zu meinem normalen Leben auch brauchte. Denn gerade in meinem Studium war es nicht gewollt, dass man sich einbringt oder nachdenkt. Wir mussten nur Rechtsfragen analysieren können und Definitionen und Schemata herunterbeten.
Das ist frustrierend für jemanden, der wissen will, was wirklich gerecht ist und der Recht studieren wollte, um nach Gerechtigkeit zu streben. Mein Blog „Primamuslima“ war also längst von einem Ventil zu einem Fluchtort herangewachsen. Das Projekt war meine Berufung geworden und ich war gefragt. Ich wurde schon mit Anfang 20 hundertfach interviewt, sollte mich zu Themen äußern, die sonst nur Theologen und Politiker öffentlich diskutierten, ich wurde zu Veranstaltungen eingeladen, hielt Reden, kam ins Fernsehen und merkte schnell, dass das außer Kontrolle gerät.
Ich lese Bücher, ich lese Zeitung, ich höre Radio und ich höre Podcasts. Ich interessiere mich für Politik, für Wirtschaft, für Kultur und hoffe, dass ich als Journalistin noch lange und viel dazu beitragen kann, dass unsere Gesellschaft gut informiert und ordentlich zum Nachdenken gebracht wird. Mein Podcast „Maschallah!“ ist ein kleiner, aber sehr wichtiger Teil davon und eine offene Tür zu all den Muslim*innen in diesem Land, die sich auch tagtäglich mit tausend anderen Sachen beschäftigen als mit Kopftuchdebatten und Minarettenverboten: Sie sind erfolgreiche Manager. Sie sind Umwelt- und Tierrechtsaktivisten. Sie sind Spitzenärzte. Spitzenpolitiker. Offiziere bei der Bundeswehr oder auch einfach Theologen. Aber eben ganz anders, als die meisten denken.
Und deshalb lohnt es sich reinzuhören und zu sagen „Maschallah!“, wenn man erstaunt ist, wie toll diese Menschen sind!
In ‘Maschallah’ spricht Merve Kayikci beispielsweise mit dem muslimischen Theologen Ali Ghandour, der das Buch ‘Liebe, Sex und Allah – das unterdrückte erotische Erbe der Muslime’ geschrieben hat, über Masturbation. Die Bloggerin und Tierrecht-Aktivistin Serayi Sezgin erzählt was ‘halal’ in Zeiten von Massentierhaltung wirklich bedeutet. Der Social Media Aktivist Cihan Sügür erklärt, warum er keinen Widerspruch darin sieht, als Moslem in die CDU, in eine Christlich Demokratische Partei, einzutreten.
Den Podcast hat Merve Kayikci zusammen mit der Autorin Katrin Rönicke ins Leben gerufen. Die Folgen 1-4 (ab dem 17.11. auch Folge 5) können hier angehört werden.
Über die Journalistin Merve Kayikci