“Ich kenne meine Privilegien.”

Weiße Menschen vereinzelt über ihre Privilegien aufzuklären, war für Alice Hasters nicht effizient genug. Sie beschloss ein Buch zu schreiben - mit dem Titel: "Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen: aber wissen sollten". Folgend liest die Autorin aus ihrem Erstlingswerk.

Protokoll: Anna K. Baur 

Ausschnitt aus dem Kapitel: ‘Einzigartig und Unsichtbar’, gelesen von Alice Hasters:

Wie kam Alice Hasters dazu, ein Buch über Rassismus zu schreiben? Welche Gedanken, Ängste und Hürden begleiteten den Prozess – von der ersten Idee bis zur Veröffentlichung? Die Autorin lässt uns daran teilhaben.

 

15 Schritte zu “Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen: aber wissen sollten.”
von Alice Hasters

 
  1. Aufgrund meiner Kolumnen auf kleinerdrei.org, wurde ich gefragt, ob ich ein Buch schreiben kann – über Rassismus. Erste Antwort: Ja, kann ich. Ich habe so viel bezüglich dieses Themas auf dem Herzen, da kann man locker ein Buch mit füllen.

  2. Das war zu kurz gedacht. Ich will keine Autobiografie schreiben. Darum geht es auch nicht, mein Leben ist mehr als nur Rassismus. Ich will keinen Ratgeber schreiben, denn ich will nicht, dass Leute denken, dass sie nur dieses Buch lesen müssen und danach sei alles erledigt. Wie mache ich das jetzt also?

  3. Ich muss mehr Bücher lesen. Und noch mehr Bücher lesen. Und dann noch ein paar Texte lesen. Und dann hab ich immer noch nicht genug gelesen. Und je mehr ich lese, desto mehr fällt mir auf: “Ich weiß eigentlich gar nichts über dieses Thema”.

  4. Ich fange jetzt einfach mal an und denke nicht zu viel darüber nach und schreibe einfach meine Wahrheit auf, weil sonst fange ich nie an.

  5. Ich hoffe, die Arbeit mit dem Verlag geht gut. Es ist ein kleines Team, kompetent und angetan vom Thema. Ich hab sie gewählt, weil mir ihre Antwort auf meine Leseprobe gefallen hat. Sie scheinen mich und mein Buch richtig einzuschätzen. Aber sie sind auch alle weiß. Ich bin mir nicht sicher, ob sie wissen, was da auf sie zukommt. Ich weiß auch nicht, was auf mich zukommt. Das erste Treffen war jedenfalls nett. Wir haben direkt über das Cover gesprochen – ob ich mir vorstellen könnte, vorne drauf zu sein. Joa, mal sehen, ich überlege nochmal. Ist ja noch Zeit.

  6. Zwei Wochen später: Fototermin fürs Covershooting ist festgemacht. Das Cover steht, bevor irgendein Kapitel fertig ist. Ich bin drauf.

  7. Der Arbeitstitel vom Buch ist „Halbdeutsch“ und alle sind sich einig, dass es ein furchtbarer Titel ist, weil leider gar nicht rüberkommt, dass der Begriff „Halbdeutsch“ kritisch ist. Dabei ist das schon besser als der Vorschlag der Buchagentur: „Warum ich keine Bananen in der Öffentlichkeit esse“. Nach dem Vorschlag hätte ich fast aufgehört. Okay, also ein anderer Titel. Ich wäre ja für (Un)Sichtbar. Mein Verlag ist kein Fan. Sie brauchen etwas Konkreteres. Überlege in einer zynischen Minute den Titel: „Alice in Dunkeldeutschland“ vorzuschlagen.

  8. E-Mail an meinen Verlag: “Ich verstehe jetzt langsam, was ihr gerne für einen Titel hättet. So einer, der sofort klarmacht, was drin steht und wo man keine Sekunde nachdenken muss. Sowas wie ‘Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen’ oder so”.

  9. Das Buch heißt jetzt: ‘Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten.’

  10. Wem helfe ich wirklich mit diesem Buch? Haben weiße Menschen es überhaupt verdient, noch mehr Hilfe bezüglich dieses Themas zu bekommen? Trage ich nicht schon wieder dazu bei, Machtdynamiken aufrechtzuerhalten, wenn es eigentlich weiße Menschen sind, die sich die Arbeit machen müssten, die ich mir gerade mache?

  11. Ein Blick ins Internet geworfen – wieder festgestellt: “Okay, weiße Menschen kriegen es alleine nicht hin, über Rassismus zu reflektieren”. So off I go.

  12. Wie schreibt man nochmal? Mein Wortschatz ist zu klein. Ich reihe willkürlich Sätze aneinander, schon seit Wochen, Monaten. Ich weiß nicht mehr, ob das alles noch Sinn ergibt. Vielleicht muss ich wieder von vorne anfangen.

  13. Viel mehr als vor dem Gegenwind von weißen Menschen hab ich Angst vor Stimmen aus der eigenen Community. Ich bin mixed, lightskinned, cis, hetero, habe einen deutschen Pass. I know my privileges. Problem is: White people don’t. Ich will nicht das Gefühl vermitteln, meine Perspektive ist allgemeingültig. Ich kann es nur gefühlt 50 Mal in mein Buch schreiben, aber trotzdem habe ich Angst, dass das nicht reicht. Weil ich zu viel Platz einnehme. Ich habe Angst, dass wenn das Spotlight auf mich fällt, andere in den Schatten gestellt werden. Dabei will ich das genaue Gegenteil. Aber wem hilft es, wenn ich dieses Buch einfach nicht schreibe? Sagen wir mal so: Schaden kann es nicht.

  14. Ich habe keine Lust mehr, über mich nachzudenken, von mir zu erzählen, ich habe keine Lust mehr, zu weinen und wütend zu sein und in meinen Wunden zu wühlen. Aber die Deadline kommt, Hilfe!

  15. Time is up: ich lass das jetzt einfach so und hoffe das Beste.

 
 

Über die Autorin Alice Hasters