“Du solltest öfter ‘normale’ Menschen fotografieren.”

Die Bilder des deutsch-koreanischen Foto- und Videokünstlers Hee-Seong Han erzählen Geschichten, die es eigentlich nicht gibt. Kein vorgegebenes Narrativ. Nur die Momentaufnahme, deren Ausdrucksstärke die Fantasie des Betrachters anregen soll. Seine Inspiration sind Filme aus Südkorea und Hongkong.

Protokoll: Anna K. Baur

Meine Fotografien sind Film Stills ohne Film. Mich inspiriert vor allem das Hongkong-Kino und der südkoreanische Film. Meine Models haben häufig Migrationshintergrund, oft asiatischen. Neulich war ich bei einem Event, auf dem man sich Werbeagenturen vorstellen konnte. Da wurde mir empfohlen, dass es besser für meine Karriere wäre, öfter ‘normale’ Menschen zu fotografieren.

Was ist normal? Normalität gibt es nicht. Im Endeffekt geht es darum, wie du sozialisiert wirst. Es kommt darauf an, wie du erzogen worden bist – ob du mit Stäbchen oder mit Messer und Gabel isst. Meine Eltern sind aus Südkorea. Ich bin in Berlin geboren und aufgewachsen. Die zwei Kulturen haben mich als Kind verwirrt. Aber irgendwann habe ich es als bereichernd empfunden, da ich beides kenne und miteinander vergleichen kann.

Wenn du dich auf Koreanisch unterhältst, ist deine Körperhaltung eine komplett andere, wenn eine Autoritätsperson im Raum ist. Im Koreanischen gibt es diese Hierarchie. Wenn du Menschen neu kennenlernst, musst du sie siezen. Ich habe ein Jahr in Seoul studiert. Mein Mitbewohner hat mich gesiezt. Und vor älteren Menschen, muss man sich beispielsweise verbeugen und vor ihnen zu rauchen gilt als unhöflich. Es gibt viele Höflichkeitsformen. Man kann auf Koreanisch auch ‘Danke’ unterschiedlich stark ausdrücken. Vieles, was in der deutschen Sprache kein Problem wäre, könnte in der koreanischen Sprache als respektlos gelten.

Ich war als Kind fast jedes Jahr in Korea. Meine Mutter hat mich mitgenommen. Ich konnte nicht mit Stäbchen essen. Ich konnte nicht scharf essen. Kimchi musste ich immer in Wasser eintauchen, weil es zu scharf war. Meine Cousine, die im gleichen Alter war, hatte weder ein Problem mit der Schärfe noch mit Stäbchen. Ich saß da wie ein Depp und kam nicht klar. Als Kind mochte ich Korea nicht. Ich musste in den Sommerferien immer dahin, hatte aber keine Freunde dort. Mir war immer langweilig. Das Essen mochte ich auch nicht.

2005 habe ich bei einem Programm des südkoreanischen Staates mitgemacht. 200 Jugendliche der weltweiten südkoreanischen Diaspora wurden eingeladen. Aus Deutschland, Frankreich, Russland, Japan, der Ukraine. Mit vielen war ich danach befreundet. Von da an fand ich es gut nach Korea zu fahren und das Essen liebe ich inzwischen auch. Ich bin immer noch regelmäßig dort, um meine Eltern zu besuchen, die mittlerweile wieder dort leben. Ich identifiziere mich nicht als Koreaner. Auch nicht als Deutscher, dafür kenne ich Deutschland zu wenig. Ich kenne Berlin, dort bin ich geboren und aufgewachsen. Ich bin Berliner.

Folgend stellt Hee-Seong Han drei Signature-Bilder vor:

 

“Bao”, 2017
(Aufmacherbild)

“Das Bild von Bao (die Frau, Anm.d.Red.) auf dem Motorrad ist eine Referenz zu dem Film Fallen Angels (1995) von Wong Kar-Wai. Quasi eine Hommage. Im Film fährt ein Pärchen die ganze Zeit durch Tunnels. Das war meine Inspiration. Ich finde es spannend, dass auf dem Bild zwei Personen sind. Man sieht aber den Motorradfahrer nicht. Die Situation wirft Fragen auf. Sind sie ein Paar? Wer ist der Motorradfahrer? Was ist gerade passiert? Mein Ziel war es ein Szenario zu kreieren, das eigentlich nicht existiert. Die Geschichte soll sich im Kopf des Betrachters entwickeln. Filme wie In the Mood of Love (2000), Mother (2009), Old Boy (2003), Memories of Murder (2003) haben sehr viel Einfluss auf meine Arbeit – nicht weil die Filme aus Asien kommen, sondern weil die Filme sehr gut sind. Mich interessiert darin mehr die Stimmung als der Plot. Das lässt Raum für Interpretation.” 

“Yegorka”, 2018

“Janus Dan Denorch und DJ Why Be haben das Label, Yegorka gegründet und wollten das bildlich festhalten. Ich mag das Foto, weil es wieder eine Geschichte erzählt, die es eigentlich gar nicht gibt. Mit der Tasse und der Zeitung. Wir haben uns die Idee zusammen überlegt. Wir fanden die Location, das Zimmer im Hotel Savoy, gut, den Rest haben wir improvisiert. Es war spontan und nicht konzipiert, aber ich bin trotzdem sehr zufrieden mit dem Ergebnis.”

 
 

“Daniel”, 2019

“Ich habe ein Bild von einer weißen Taube gesehen und dachte: ‘Ich muss unbedingt eine Arbeit mit einer weißen Taube machen’. Die Symbolik einer weißen Taube ist so stark. Man denkt sofort an Frieden und von dem Ausgangspunkt, kann man alles reininterpretieren, die Geschichte im Kopf nimmt ihren Lauf. Als Model habe ich Daniel gewählt, weil er sehr maskulin aussieht. Das Hotel, in dem wir das Bild gemacht haben, ist in Charlottenburg, hat aber einen ostdeutschen Vibe. Daniel ist Berliner. Ich ja auch. Er kommt aus Reinickendorf. Ich aus Charlottenburg. Ich wollte es richtig deutsch machen.”

Über den Fotografen & Filmemacher Hee-Seong Han