“Sie kämpfen für die Zukunft der Frauen im Nahen Osten.”

Die Künstlerin und Autorin Cemile Sahin und die Autorin Ronya Othmann schreiben regelmäßig aus kurdischer Perspektive für die taz Kolumne "Orient Express" über Nahost-Politik. In Kooperation mit Cinema+Context teilen sie folgend ihre Gedanken zu "Gulîstan, Land of Roses" - ein Dokumentarfilm über kurdische Freiheitskämpferinnen.

Text: Ronya Othmann und Cemile Sahin

2014

Als der IS Kobane angriff, gingen die Bilder von kurdischen Frauen um die Welt: Frauen mit langen Haaren, zu Zöpfen gebunden, in den Händen Kalaschnikows oder Milan-Raketen, furchtlos gegen die Massenmörder des IS. Kämpfende kurdische Frauen (PKK, YPJ, Peschmerga – gibt natürlich noch mehr!) wurden vielfach porträtiert. Sie sind in zahlreichen Spiel und Dokumentarfilmen zu sehen: Girls of the Sun, Das Milan Protokoll, My Sweet Pepper Land, Soeurs d’Armes, Commander Arian. Im Kampf gegen den IS, der auch Europa bedrohte, änderte sich der mediale und politische Blick auf die Kurd*innen. Aus den “Terror-Kurden” wurden “Freiheitskämpfer”. Was für viele Menschen, vor allem in Europa, eine Sensation war – kämpfende Frauen im Nahen Osten – ist in Kurdistan Alltag. Dieser Alltag begann nicht erst mit der Verteidigung und Befreiung von Kobane. Schon im 19. Jahrhundert führten kurdische Frauen Bataillone an.

Es gibt 40 Millionen Kurd*innen. 40 Millionen Kurd*innen sind die größte ethnische Gruppe ohne einen eigenen Staat. Stattdessen sind die Kurd*innen auf vier Länder aufgeteilt: Iran, Irak, Syrien, Türkei.
Seit der Staatsgründung der Türkischen Republik 1923 durch Mustafa Kemal Atatürk wurden Kurd*innen systematisch unterdrückt und verleugnet. Um einen homogenen Einheitsstaat zu schaffen, hat Atatürk alle Minderheiten im Land über Nacht türkisiert. Sein Credo war: ein Land, eine Sprache, eine Fahne, ein Volk. Dieser türkische Nationalismus setzte sich über die Jahre fort: Das Sprechen der kurdischen Sprache war verboten. Die kurdische Existenz wurde geleugnet. Kurd*innen gab es offiziell nicht mehr, sie wurden als Bergtürk*innen bezeichnet. Die meisten Kurd*innen leben im Osten der Türkei (Nord-Kurdistan). Diese Regionen wurden jahrzehntelang vom türkischen Staat gezielt wirtschaftlich und infrastrukturell vernachlässigt (Krankenhäuser, Schulen, Straßenbau, Storm- und Wasserzugang). Jegliche Auflehnung gegen die Unterdrückung wurde mit Gefängnis, Folter, Mord bestraft. Aber auch einfach kurdisch sein, war in den Augen des türkischen Staates ein Verbrechen.
 

1978

wurde die PKK gegründet. Die Entstehung der PKK ist ein Ergebnis jahrzehntelanger türkischer Unterdrückung. Die Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkerên Kurdistanê) setzte sich zum Ziel, für ein freies Kurdistan zu kämpfen. Seit ihrer Gründung haben Frauen innerhalb der PKK eine sehr wichtige und tragende Rolle und kämpfen an vorderster Front, leiten Einheiten und feministische Bildungsprogramme.

Eine dieser Einheiten, die im Qandil-Gebirge (Autonomie Region Kurdistan, Irak), stationiert ist, begleitete die kurdische Filmemacherin Zaynê Akyol 2016. Wir sehen die Frauen beim Training, beim Essen zubereiten, beim Lesen, wie sie scherzen, sich über verschiedene Arten von Bomben unterhalten. Sie erzählen von ihrem Leben in den Bergen, von ihren Beweggründen sich der kurdischen Guerilla anzuschließen, aber eben auch vom Schmerz ihre Familie zurückzulassen, ihre Mütter und Schwestern nicht mehr zu sehen oder ihre Trauer um gefallene Guerilla-Kämpfer*innen.
 

2014

fiel der IS im Shingal (Irak) ein und verübte einen Genozid an den Ezîd*innen. Die IS-Kämpfer verrichteten zahlreiche Massaker. Sie ermordeten die Männer, nahmen die Jungen als Kindersoldaten und die Frauen als Sklavinnen. Sie vergewaltigten Frauen und Mädchen und verkauften sie. Der Genozid an den Ezîd*innen ist auch ein Femizid. Das Weltbild des IS ist durch und durch misogyn. Frauen werden aus dem Öffentlichkeit verbannt, sie müssen Vollverschleierung tragen, dürfen nicht mehr ohne männliche Begleitung das Haus verlassen. Unter dem Kalifat litten alle Frauen, doch in der Hierarchie des IS waren die Ezîdinnen ganz unten, sie hatten gar keine Rechte, waren Sklavinnen. Nichtsdestotrotz gab es im Islamischen Staat Täterinnen, also IS-Anhängerinnen, beispielsweise in der Hisba Miliz, die folterten, töteten, indoktrinierten, die êzîdischen Mädchen und Frauen auf die Vergewaltigung vorbereiteten. Diese IS-Täterinnen stützten aktiv das misogyne und faschistische System des Islamischen Staates.

Gegen diesen Islamischen Staat kämpfen die kurdischen Kämpfer*innen. Auch die Einheit, die Zaynê Akyol in ihrem Film porträtiert. Wir sehen die Frauen wie sie Wache halten gegen den IS, schlafen, aufstehen und wie sie schließlich in die Schlacht ziehen. Es heißt: wenn IS-Kämpfer von Frauen getötet werden, kommen sie nicht ins Paradies. Das bedeutet: IS-Kämpfer haben Angst vor kämpfenden, kurdischen Frauen. Die kurdischen Kämpfer*innen wissen das und ziehen mit lauten Trillern (wie auf kurdischen Hochzeiten) ins Feld. Kurdische Frauen kämpfen als Kurdinnen gegen die Unterdrückung, aber auch als Frauen, für die Freiheit der êzîdischen Frauen, die Opfer eines Genozids geworden sind. Sie kämpfen für die Zukunft der Frauen im Nahen Osten, die nur eine Zukunft in Selbstbestimmung und Würde sein kann. Unser größter Respekt und Dank gilt allen kämpfenden Frauen!
 

Das Online Screening von Gulîstan, Land of Roses ist bis heute Abend hier verfügbar. (Passwort: Cinema+Context)

 
 
Über die Autorinnen Ronya Othmann und Cemile Sahin