“Ich habe immer versucht an die Grenzen des Genderkonstrukts zu gelangen.”

Mit dem Dokumentarfilm Khartoum Offside erzählt die Regisseurin Marwa Zein anhand einer Frauenfussballmanschaft aus Khartum die Geschichte des Sudans. Am 20. September wird der Film im Rahmen des Afrika Film Festivals in Köln gezeigt.

Interview: Anna K. Baur

Kein Frauenfussballteam im Sudan darf im Ausland das Land vertreten. Wenn die Spielerinnen trainieren wollen, müssen sie alle Kosten wie beispielsweise die Platzmiete selbst tragen. Und das, obwohl der sudanesische Fussballverband seit 1980 von der Fifa finanzielle Mittel bekommt, um den Frauenfussball zu fördern. Die Filmemacherin Marwa Zein hat die Spielerinnen vier Jahre lang begleitet, um deren Kampf für ein sudanesisches Frauen-Nationalteam zu dokumentieren. Dabei ist ein Film über ungerechte Gesetze, Korruption und die Diskriminierung der Frau im Sudan entstanden. Ein Gespräch mit der Regisseurin.

 
Hast du einen persönlichen Bezug zu Fussball?
Wir haben bis ich zwölf Jahre alt war in Mekka, Saudi Arabien gelebt. Ich habe dort Fussball gespielt. Meine Eltern waren nicht begeistert davon, da Fußball in der Gesellschaft, in der ich aufgewachsen bin, als keine passende Sportart für Frauen gilt. Ich habe immer versucht an die Grenzen des Genderkonstrukts zu gelangen und herauszufinden, warum die Einhaltung dieser Grenzen im Nahen Osten so eine große Sache ist. Fußball ist eine Möglichkeit sich dagegen zu wehren.
 
Dein Film Khartoum Offside beginnt mit den Zeilen „Sudan women are not allowed to play football, not allowed to film“.
Diese konservative, engstirnige Kultur kommt von außen. Im Sudan denken wir nicht so. Die Regierung dachte so, nicht die Menschen. Das wollte ich in Khartoum Offside ansprechen. Ein Film über die Fussballspielerinnen zu machen, war für mich eine Möglichkeit über den ganzen Sudan zu sprechen. Über die unterschiedlichen Stämme und Regionen. Darüber wie unfair das Regime die Menschen jahrzehntelang behandelt hat.
 
Die alle seit den 1980er Jahren offiziell den Regeln der Scharia unterworfen sind.

Die Mehrheit der Menschen des Sudans stammen von afrikanischen Stämmen ab. Aber seit der Unabhängigkeit kommen die Regierung und die führenden Gruppen aus dem Norden, diese haben arabischen Ursprung. Die Problematik ist, dass die afrikanischen Stämme nicht die privilegierten sind. Aus diesem Grunde hat sich der Südsudan abgespalten. Darum gibt es den Konflikt zwischen Nord und Süd. Es ist traurig, dass die Regierung versucht das Land islamistisch zu regieren, weil damit so viele Stämme ausgeschlossen werden. Deshalb wollte ich diesen Film auch machen, weil es so traurig ist.

 
Wie hast du deine Protagonistinnen gefunden?
Ich bekam 2013 einen Anruf von einem sudanesischen Verein für Frauenrechte. Sie wollten, dass ich einen fünfminütigen Film über die Fußballspielerinnen drehe. Zu dieser Zeit lebte ich mit meiner Familie in Ägypten und hatte gerade mein Filmstudium abgeschlossen. Der Anruf kam zu richtigen Zeit. Ich wollte für eine längere Zeit in den Sudan. Mein Vater ist Sudanese. Ich habe einen sudanesischen Pass. Ich wollte wissen, woher ich komme. Ich bin mit sudanesischer Literatur, Musik und Gedichten aufgewachsen. Ich wollte, dass meine romantischen Vorstellungen vom Sudan zu tatsächlichen Erlebnissen werden. Also bin ich in den Sudan gezogen und habe drei Monate mit den Fussballspielerinnen verbracht. Es hat sich dann schnell herausgestellt, dass Sara und Hinda den Film tragen werden. Ihr Humor, ihre Stärke, sie sind beide sehr charismatische Charaktere. Der Film ist 75 Minuten lang geworden…
 

Mir war schnell klar, dass sich die Geschichte, die ich erzählen möchte, nicht in fünf Minuten erzählen lässt. Es war nicht einfach das Team dafür zu gewinnen. Niemand im Sudan macht Dokumentarfilme, die über eine längere Zeit gedreht werden. Die Menschen sind Interviews gewöhnt, die über eine Stunde oder einen Tag geführt werden, nicht vier Jahre lang.

 

Wie hast du sie überzeugt?

Der Film konnte nur gedreht werden, weil wir es geschafft haben, ein gegenseitiges Vertrauen zueinander aufzubauen. Das Vertrauen, dass der Film für uns alle gut ist. Dass ich sie nicht ausnutze oder ihnen ein bestimmtes Bild aufdrücken möchte. Dass ich sie und den Film nicht vergesse, wenn ich sechs Monate im Ausland bin, um mehr Finanzierung für den Film zu beantragen. Von außen gab es so viele Schwierigkeiten, sie haben meine Kamera gepfändet und auch die Spielerinnen sind in Schwierigkeiten gekommen. Wir mussten uns den Film zusammen erkämpfen und das ging nur, weil wir uns vertraut haben.


Erinnerst du dich an eine bestimmte Situation während des Drehs, die euch in Schwierigkeiten gebracht hat?

Wir haben auf einem Markt in einer sehr beliebten Gegend in Khartum gedreht. Sara, Hinda und ich. Die Polizei hat uns angehalten. Sara hat sich vor mich gestellt und den Officer in ein Gespräch verwickelt, so konnte ich die Speicherkarte unbemerkt wechseln und unser Material war zumindest gesichert, falls sie die Kamera wegnehmen. Hinda hat währenddessen mit dem anderen Officer geredet und ihm erzählt, dass ich aus Ägypten bin und keine Ahnung vom Sudan habe. Wir haben alle Tricks angewendet, um die Kamera nicht zu verlieren oder Strafe bezahlen zu müssen. Da wir so lange zusammen gedreht haben, waren die beiden irgendwann nicht nur Protagonisten, sondern haben sich auch um alles andere mit gekümmert. Wenn ich alleine gewesen wäre, hätten sie meine Kamera auf jeden Fall gepfändet.

Die Fußballspielerinnen im Film kämpfen für das Ziel, als offizielle Frauennationalmannschaft für den Sudan spielen zu dürfen. Sie wirken sehr stark. Gab es auch Momente der Schwäche und wie hast du darauf reagiert?

Durch die jahrelange Zusammenarbeit sind wir Freunde geworden. Sie sind auch in schwachen Momenten oft zu mir gekommen, aber wenn ich das Gefühl hatte, sie wollten mit mir als Freundin sprechen, wenn sie mehr geteilt haben, als sie bereit sind mit der Kamera zu teilen, habe ich die Szenen herausgeschnitten. Viele dieser Momente waren nach den Wahlen, weil sie so sehr gehofft haben, dass sich etwas verändert, dass die Entscheidungsträger der Football Association wechseln. Aber nichts änderte sich, dieselben korrupten Menschen, wurden für vier weitere Jahre an die Macht gewählt, das Team wird weitere vier Jahre nicht unterstützt.


Der Film endet mit einem hoffnungsvollen Moment. Zwei Frauenfussballteams spielen auf einem öffentlichen Platzt gegeneinander. Frauen wie Männer schauen zu und feuern sie an. Im April diesen Jahres wurde Umar al-Baschir nach 30-jähriger Präsidentschaft abgesetzt. Besteht Hoffnung, dass es in Zukunft im Sudan ein Frauenfussball-Nationalteam gibt?

Ich bin sehr glücklich über den Regierungswandel. Ich habe große Hoffnungen, dass wir jetzt eine Zivilregierung bekommen, die einiges umstrukturieren wird, auch in Bezug auf den Frauenfussball. Ich bin stolz auf alle Sudanesen, auf alle Sudanesinnen, die ihre Sicherheit geopfert haben, um sich für eine Veränderung im Sudan auszusprechen.

 
Du bist die Tochter sudanesisch-ägyptischer Eltern. Du hast die ersten zwölf Jahre in Saudi-Arabien gelebt, dann in Ägypten, erst die letzten Jahre im Sudan. Würdest du trotzdem sagen “Ich bin Sudanesin”?

In Ägypten habe ich gelebt und geliebt. Sudan ist das Land meines Vaters. Obwohl das Verhältnis der beiden Länder problematisch ist, teilen sie viel miteinander. Den Fluss, die Kultur. Ich fühle mich beiden Ländern zugehörig. Ich gehöre auch zu Saudi-Arabien, da bin ich geboren. Aber in Ägypten gibt es sehr viele gute Drehbuchautoren und Filmemacher. Im Sudan nicht, weil die Regierung es lange Zeit abgelehnt hat, das Kino zu unterstützen. Kinos wurden geschlossen. Kunst und Kultur wurde bekämpft. Daher sage ich, ich bin eine sudanesische Filmemacherin, die Geschichten aus dem Sudan erzählen möchte.

Die Erstaufführung von Oufsaiyed Elekhortoum (Khartoum Offside) fand im Februar auf der Berlinale statt.
Am 20. September wird der Film im Rahmen des
Afrika Film Festival Köln gezeigt.
(20 Uhr, Filmforum Museum Ludwig, 7 Euro, OF arab. m. dt. UT; DCP; 75 min.).
In Anwesenheit der Regisseurin Marwa Zein.

Über die Regisseurin Marwa Zein

Über den Sudan: Britische Kolonie bis 1953 — Unabhängige Republik seit 1956 — 1955 – 1972 Sezessionskrieg (erster Bürgerkrieg) im Südsudan — 1981 Präsident Dschafar an-Numairi setzt eine islamistische Regierung durch — 1983 wird die Scharia im ganzen Land eingeführt, auch im autonomen Süden — 1983 – 2005 Sezessionskrieg (zweiter Bürgerkrieg) im Südsudan — 1989 Umar al-Baschir kommt durch einen Militärputsch an die Macht — 2011 Unabhängigkeit des Südsudan — 2018/19 monatelange Massenproteste (Sudan Revolution) — Am 11. April 2019 wurde Umar al-Baschir durch einen Militärputsch abgesetzt — Am 3. Juni werden Sitzblockaden von Sicherheitskräften gewaltsam aufgelöst, über 100 Menschen sterben — Bis zu Neuwahlen 2022 wurde ein “Souveräner Rat” aus Militärs und Zivilisten eingesetzt — Abdalla Hamdock ist seit August 2019 Premierminister