Protokoll: Anna K. Baur
Am liebsten fotografiert Pujan Shakupa auf Reisen. In Ländern, die er nicht kennt, kann er Beobachter sein, ist er nicht gefangen in der gewohnten Umgebung. „Das Reisen gibt mir die Möglichkeit, Dinge neu zu entdecken, objektiver zu sein“, erzählt der 37-Jährige. China sei für ihn momentan sehr spannend. Dort passiere eine Entwicklung, die in Europa mehrere Jahrzehnte gebraucht habe, in fünf Jahren. Dadurch entstehen viele interessante Motive. Alte Kulturgüter neben modernen Shopping-Malls. Was ihn inspiriert, ist das Unpassende. Im Iran hätte er allerdings seine emotionalsten Bilder gemacht. „Ich gehe dort an Orte, an denen ich nie zuvor war und habe trotzdem ein Heimatgefühl“, berichtet er nachdenklich. Man bekäme die Erinnerungen der Eltern zu spüren. Pujan Shapuka ist mit seiner Familie als er zehn Jahre alt war, aus dem Iran nach Deutschland, gekommen. Obwohl er glaubt, dass er damit in der Kunst schneller Erfolg gehabt hätte, sieht er sich nicht als iranischer Künstler. „Ich bin kein Mensch, der ‚nur‘ in seiner Heimat aufgewachsen ist und das war’s. Ich bin von vielen Bereichen, Kulturen und Gedanken geprägt“. Nur eine seiner Serien, “Waiting for Mahdi”*, hat der Künstler dem Iran gewidmet.
“Untitled”, aus der Serie “Waiting for Mahdi”, ca. 2010
(Aufmacherbild)
„Das Foto ist während eines Roadtrips durch den Iran entstanden. In irgendeinem Motel auf der Route. Es zeigt meinen Vater in typischer Pose. Er kam aus ärmsten Verhältnissen und hat sich aus eigener Kraft hochgearbeitet. Er hat viel geleistet in seinem Leben, aber ab einem gewissen Punkt hat er resigniert. Mein Vater ist ein melancholischer Mensch. Obwohl er früher eine führende Position beim Militär hatte, hat er die Seele eines Künstlers. Ihm wurde nie die Möglichkeit geboten, sich kreativ auszuleben. Das Foto zeigt meinen Vater, wie ich ihn sehe: als einen nachdenklichen, melancholischen Menschen, der sich, seit wir in Deutschland sind, immer mehr zurückgezogen hat. Interessanterweise unterscheidet sich mein Bild von meinem Vater allerdings von dem, was in dieser Situation tatsächlich passiert ist: Als ich ins Zimmer kam, lachte er mich an. Ich habe ihm gesagt, er solle für die Kamera ernst nach unten schauen.
Ich frage mich: ‚Sehe ich mich in meinem Vater oder wollte ich, dass mein Vater mich darstellt?‘

“Machine”, ca. 1999
“Ich war zehn Jahre alt, als wir nach Deutschland kamen und circa 17 Jahre alt, als das Bild entstanden ist. Ich war zum ersten Mal wieder im Iran – im Süden, in Abadan, an der Grenze zum Irak. Dort kommt meine Familie her. Als ich aus dem Auto meines Onkels stieg, fand ich diese perfekte Komposition vor: das orangefarbene Taxi und das grüne Gebäude. Ich habe das Bild mit der Kamera von meiner Tante gemacht. Damals wusste ich noch nicht, was für einen Stellenwert Fotografie in meinem Leben einnehmen wird und doch hat dieses Foto meinen Stil geprägt. Noch heute ähneln alle meine Fotos diesem Bild. Allein deswegen ist es mir sehr wichtig.
Der zweite Grund, weswegen ich das Bild mag, ist, dass darauf ein Taxi zu sehen ist. Im Iran fährt jeder Taxi. Es ist das meist genutzte Fortbewegungsmittel, vor allem die Sammeltaxen. Leute steigen ein und da im Iran die Meinungsfreiheit sehr stark eingeschränkt ist, wird schon beim Einsteigen geflucht; man lässt sich über Gott und die Welt und die Regierung aus. Die Leute kommunizieren miteinander, vernetzen sich gegenseitig, streiten, debattieren. Es finden zufällige Begegnungen statt. Eine Art Kommunikationslotterie. Und wenn man am Ziel angekommen ist, geht jeder wieder seines Weges und das war’s.

“Hotel Orbit”, 2012
„Die Serie ist im Hotel Van Gogh in Paris-Montmartre entstanden. Ich war 27 Jahre alt und zum ersten Mal nach langer Zeit wieder auf Reisen. Zusammen mit meinen Eltern, die zum ersten Mal in Paris waren. Sie sind ausgegangen, kamen spät zurück und fingen an, sich in dem Zimmer, das wir uns teilten, bettfertig zu machen. Im Fernsehen lief eine Dokumentation über den Orbit und das Universum. Ich stand die ganze Zeit mit meiner 24-Film-Kleinbildkamera am Fenster und habe alles, was passierte, aufgenommen. Die Fotosession hat zehn Minuten gedauert. Meine Eltern haben kaum etwas mitbekommen.
Die Serie vereint die Beziehung zu meinen Eltern, meine Art, zu fotografieren und den Kunstgedanken. Sie ist besonders, weil ich, ohne viel nachzudenken, ohne viel Aufwand, ohne Kosten, innerhalb kürzester Zeit etwas geschaffen habe, das Bestand hat. Und zufälligerweise ist auch hier eine Analogie entstanden, die mir sehr gefällt – zwischen dem TV-Programm und meinen Eltern. In der Sendung wird erklärt, dass die Sterne und die Monde sich gegenseitig beeinflussen. Und so war es auch in diesem Zimmer. Meine Eltern sind wie die Sterne um mich herum gekreist. Auf einem anderen Bild der Serie sieht mein Vater wie Albert Einstein aus; im Fernsehen im Hintergrund ist das schwarze Loch zu sehen und später der echte Albert Einstein.”
* “Waiting for Mahdi’ beschreibt eine Art Wartestellung. Mahdi ist der 12. Imam im Schiitentum. Er ist verschollen, alle anderen sind gestorben. Er wird im Iran als Messias betrachtet. Wenn er zurückkommt, wird in der Welt das Gute vom Bösen getrennt. Und der Klärus herrscht als Vertretung, bis er zurückkommt. Eigentlich dürfen die Mullahs gar nicht herrschen. Im Iran gibt es viele Menschen, Jung und Alt, die gerne etwas verändern würden, aber nicht dürfen. Im Iran bekommst du alles mit, aber du kannst nichts bewegen, du kannst nur warten.” – Pujan Shakupa
Über den Künstler Pujan Shakupa.