Protokoll: Anna K. Baur
Eylül Aslan ist gerade in Istanbul. Zu Besuch bei ihren Eltern. Für sie ein entspannterer Ort, um Interviews zu geben. Hier kann sie ihren kleinen Sohn ihrer Mutter übergeben, um in Ruhe zu telefonieren. Die Themen? Wie einengende gesellschaftliche Werteordnungen die Kreativität fördern. Wie man gegen Dick Pics im Postfach ankämpft. Wie das Muttersein zur leichten Schizophrenie führt. Das Protokoll schrieb Anna K. Baur.
Istanbul
„Ich habe mit 17 Jahren angefangen, zu fotografieren, um mich selbst zu verstehen, um herauszufinden, wie ich sein wollte und nicht konnte, weil die Art, wie die türkische Gesellschaft funktioniert, es mir nicht erlaubte. Ich habe mich in den Straßen Istanbuls nicht sicher gefühlt. Dinge, die selbstverständlich sein sollten, wie einen Rock zu tragen oder sich wie eine emanzipierte Frau zu verhalten, die trinken und ausgehen kann, die nachts alleine unterwegs sein kann, sind hier nicht so einfach. Ich denke, diese Angst hat mich dazu motiviert, die Person, die ich sein wollte, vor der Kamera zu sein, weil ich es im realen Leben nicht konnte. Diese Diskrepanz zwischen dem, was ich wollte und was die Gesellschaft von mir erwartete, war immer sehr präsent in meinen Fotos. Meine Eltern, die immer noch in Istanbul leben, sind nicht sehr begeistert von meiner Arbeit. Meine Mutter ist liberaler als mein Vater. Sie hat selbst fotografiert, viel gelesen, mir Bücher über Fotografie und Kunst gegeben. Sie schätzt, was ich mache und unterstützt mich dabei – mehr als mein Vater. Aber sie findet, dass ich nur mit anderen Models und nicht mit mir selbst arbeiten sollte. Mein Vater ignoriert meine Arbeiten. Er kam zwar zu meiner Ausstellung hier in Istanbul, aber ansonsten versucht er, Abstand zu halten. Es interessiert ihn nicht. Am Anfang war ich traurig darüber; man möchte ja schon, dass den Eltern gefällt, was man macht und sie stolz auf einen sind. Aber irgendwann habe ich realisiert, dass ich nicht für meine Eltern fotografiere. Ich fotografiere, weil es mich glücklich macht. Es war eine Notwendigkeit, damit sich mein Leben leichter und besser anfühlte.“
Berlin
„Es war immer mein Traum, außerhalb der Türkei zu leben. Ich habe dann Berlin gewählt, weil ich verrückt nach einem Mann war, der dort wohnte. Es war wie ein Zeichen für mich, von der unterdrückten Gesellschaft, in der ich aufgewachsen bin, an einen Ort wie Berlin zu kommen. Ich hatte plötzlich das Gefühl, alles schaffen zu können, alles zeigen zu können. In Istanbul habe ich meist so fotografiert, dass die Gesichter der Models nicht erkennbar waren. In meinen Bildern ist viel nackte Haut zu sehen und ich wollte niemanden in Schwierigkeiten bringen. In Berlin ist Freizügigkeit kein Problem. Alles war möglich, aber meine Art zu fotografieren, ist Teil meiner Arbeit geworden. Es fühlte sich für mich natürlich an, in diesem Stil weiterzumachen. Ich bin an anderen Dingen interessiert, als die Gesichter meiner Models zu zeigen. Mich faszinieren die weniger beachteten Körperteile. Trotzdem ist meine Arbeit provokativ – sie soll provozieren. Als ich meine Bilder noch auf Facebook hochgeladen habe, hatte ich jede Woche ein Dick Pic im Postfach. Fremde Männer haben mir Bilder von ihrem Schwanz geschickt, manchmal kommentarlos, manchmal mit Beschimpfungen wie: ‘Was bist du denn für eine türkische Frau?’, ‘Das ist inakzeptabel’, ‘Deinetwegen schäme ich mich türkisch zu sein’. Sie nannten mich ‘Schlampe’ und ‘ekelhaft’ und dass sie mich erwürgen würden. Diese Nachrichten kamen fast alle von türkischen Männern. Ich habe dann herausgefunden, dass man auf Facebook Länder blockieren kann. Danach war Ruhe. Ohne den Groll gegen das System oder das Gefühl der Gefahr oder auch nur einfach dadurch, dass ich nicht zufrieden damit war, hätte ich nie angefangen, zu fotografieren. Am Ende müsste ich dafür eigentlich noch dankbar sein.“
Über die Autorin Eylül Aslan.