“Es ging nur um das Menschliche.”

Katharina Maria Pechs Blick auf Bangkok war lange Zeit von ihren Verwandten geprägt. Während ihres letzten Besuchs begibt sich die deutsch-thailändische Fotografin auf die Suche nach einer unabhängigen Sichtweise auf ihre zweite Heimat und findet einen Ort, an dem die Frage nach der Herkunft, zum ersten Mal in ihrem Leben, keine Rolle spielt.

Text & Fotos: Katharina Maria Pech

Dieses Mal war es anders. Ich wollte Thailand näher kommen. Meine Identität besser verstehen. Obwohl ich schon öfter hier war, fühlte ich, dass sich etwas in mir verändert hatte. Ich habe mittlerweile begriffen, dass ich ein sehr privilegiertes westliches Leben führen darf. Eine behütete Kindheit hatte. Und doch stelle ich mir oft die Frage, wie mein Leben ausgesehen hätte, wenn sich meine Eltern damals entschieden hätten, mich und meine Schwester in Thailand großzuziehen. Wäre ich jetzt ein anderer Mensch? Hätte ich eine andere Selbstwahrnehmung? Andere Moralvorstellungen? Oder wäre ich am Ende dasselbe Ich geworden?

Auch wenn es meine Heimat ist, mein Mutterland, habe ich mich in Thailand, sowie auch oft in Deutschland, meist wie eine Fremde gefühlt. Wie kann sich ein Zuhause doch so fremd anfühlen? Ich werde immer herzlich aufgenommen, meine Mae Tao (Großmutter) und Verwandten freuen sich, wenn ich zu Besuch bin, ich spreche fließend Thailändisch, kenne die Sitten und Bräuche und doch spüre ich dort immer diese bohrenden, neugierigen Blicke, bekomme immer wieder dieselben Fragen: „Wieso kannst du Thai? Du siehst gar nicht aus wie eine Thai? Bist du ein Lug Krueng (Thailändisch wörtl. „halbes Kind“)? Das dadurch entstehende Gefühl nicht dazuzugehören verfestigt sich.

Im Mai 2019 flog ich gemeinsam mit meinem Freund nach Bangkok. Es war das erste Mal für mich, dass ich länger als drei Wochen dort verbringen würde. Das erste Mal war der Fokus nicht darauf gesetzt, dass ich meine Verwandten besuche und den Thailand Aufenthalt als Erholungsphase erleben würde. Wir wollten mindestens zwei Monate bleiben und die meiste Zeit davon in der Hauptstadt verbringen. Ich wollte wissen, wie es sich anfühlen würde, hier zu wohnen. Wie es sich anfühlen würde, mich mehr mit der thailändischen Kultur und den Menschen auseinanderzusetzen.

Wir wohnten in einem Kondominium in Bangkapi, einem äußeren Bezirk von Bangkok. Mit dem Wasserboot fuhren wir oft ins Zentrum. Dort schlenderten wir herum bis plötzlich die hektische Großstadt, das penetrante Hupen, der Smog, das Gedränge, Geklingel, all das hinter uns verschwand. Ohne es richtig zu merken, waren wir abgekommen, von der teuren und hippen Sukhumvit Road in den südlichen Stadtbereich Khlong Toei – von dem wir bis dahin nicht gewusst hatten, dass es das größte Slumgebiet Bangkoks ist. Die Häuser waren alle viel niedriger, die Straßen enger, uns schlug der Geruch von asiatischen Gewürzen, rohem Fleisch, frei lebenden Hunden und Kloake entgegen. Die Leute lächelten uns alle zwar sehr lieb, aber fragend an. Von nun an verbrachten wir viel Zeit dort, sprachen mit Menschen, informierten uns über die Lebensumstände und waren in jeglicher Hinsicht beeindruckt von diesem Ort. Trotz der oft schwierigen Lebensumstände fühlte man sich hier sofort in eine Gemeinschaft integriert. Jeder half jedem und auch uns, obwohl wir völlig fremd waren.

Ich war erstaunt darüber, nie etwas über dieses Viertel gehört zu haben und später wurde ich von Verwandten eher gewarnt, als dass jemand mir mehr Informationen über die Ursprünge und Bewohner geben hätte können. Wir beschlossen uns mehr mit den Geschichten der Menschen von Khlong Toei zu beschäftigen und ihr Leben mit Fotografien und Film zu dokumentieren. Zum einen, um anderen Menschen von diesem magischen Ort zu erzählen, zum anderen, um dieses Stück Thailand kennenzulernen, in dem ich nicht mehr als Fremde behandelt wurde. Die Dreharbeiten waren oft lang und anstrengend. Während dieser Zeit wurde ich selbstbewusster im Umgang mit fremden Menschen. Ich lernte, dass meine thailändischen Wurzeln es mir möglich machten, ihre Geschichten einzufangen und meine westlichen Privilegien würden es ermöglichen, dass Menschen sie sich anhören.

 
Nach fast jedem Tag rief ich überglücklich, aber auch geschlaucht meine Mutter an, um ihr zu erzählen, was wir heute alles erlebt hatten und wen wir kennenlernen durften. Ich fühlte etwas, was ich bis dahin nur sehr selten verspürt hatte: Stolz. Zugehörigkeit. Ich wurde dort als Teil einer Gemeinschaft behandelt. Dort, wo jeder irgendwoher kommt und kaum einer weiß, wohin er geht, fragte mich keiner nach meiner Herkunft. Es war irrelevant.

Es ging nur um das Menschliche.
Am Hafen befindet sich der Tempel Khlong Toei Nok. Dort lebt der älteste Mönch schon seit über 40 Jahren. Seine Familie sagt, es ist wie ein Altersheim für ihn. Er hat dort alles was er braucht.
Dao hat sich seinen Traum erfüllt und betreibt einen kleinen Friseursalon im Norden von Khlong Toei. Er weiss über jeden Gossip Bescheid.
Der junge Vater trägt die traditionellen Sak Yant Tattoos. Sie sollen ihm Kraft, Schutz und Glück verleihen.
Ein Familienvater betet, nachdem er mit seiner Familie Welse in den Fluss freigelassen hat. Das soll gutes Karma bescheren.
Piya und Nini treffen sich jeden Tag nach der Schule am Platz unter der Brücke. Sie sind ganz stolz auf ihre Fahrräder.

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Über die Fotografin Katharina Maria Pech