Protokoll: Anna K. Baur
Josephine Apraku, M. A., Afrikawissenschaftlerin, Mitgründerin des Instituts für diskriminierungs-freie Bildung in Berlin (IDB)
Ich sitze mit meiner Mutter im Auto. Gemeinsam durchfahren wir, meine Mama, ich und das Kleinkind – drei Generationen – eine winterliche Idylle in Brandenburg. Es ist der 1. Februar – Black History Month – und ich versuche krampfhaft mich daran zu erinnern, wann ich das erste Mal an einer der Veranstaltungen teilgenommen habe. Das ständige Stillen nachts tut sein Übriges, mein Hirn befindet sich seit Monaten im Sparmodus: Es gelingt mir beim besten Willen nicht, ich frage also meine Mama. Sie sagt, wir wären bei einer der ersten Veranstaltungen gewesen, irgendwann, vielleicht vor Mitte der 1990er Jahre. Wir waren bei, so kam es mir zumindest damals vor, vielen Veranstaltungen von und für Schwarze Menschen und Menschen of Color. Ein Berlin-typisches Programm für all jene wie uns, auf der Suche nach Verbindung und Verbündung, auf der Suche nach Ähnlichem im Hinblick auf Familienkonstellationen. Ich habe früh gespürt, dass es dort etwas gab, dass mich mit den anderen Menschen verband.
Schwarze Geschichte wird aktuell noch immer nicht als deutsche Geschichte verstanden. Dabei materialisieren sich die historischen Verbindungen, Geschichten, die von Gewalt wie Versklavung und Kolonialisierung und auch vom vielfältigen Widerstand dagegen geprägt sind – in den alltäglichen Kämpfen Schwarzer Menschen der Gegenwart. Wenn ich Theodor Wonja Michaels Worte lese, seine Geschichte, dann lese ich immer auch einen Teil meiner Geschichte. Diese Kollektivität betrachte ich als ein Geschenk. Es ist ein Geschenk, dass ich von Schwarzen Menschen erhalten habe und das ich an andere Schwarze Menschen weitergeben will. Ein Geschenk, das wir, Schwarze Menschen, uns selbst und uns gegenseitig machen.
Als Kind war ich mir der Bedeutung des Black History Month nicht gewahr. Für mich war es ein normaler und unhinterfragter Teil unserer Freizeitgestaltung — wie auch die anderen Dinge, die ich mit meiner Mutter unternahm: Besuche im Yaam zum Beispiel oder im Haus der Kulturen der Welt. Heute, als Mama besonders, ist der Monat bedeutsam für mich: Ich möchte meinem Kind diesen Raum der kollektiven Erfahrung, des positiven Bezugs zu Schwarz-Sein und der Tatsache, dass Schwarze Geschichte deutsche Geschichte ist, eröffnen. Ich möchte ihm die Möglichkeit geben, sich mit anderen auszutauschen, deren soziale Positionierung komplexer ist, als es rassistische Kategorien vermuten lassen.
Chima, Sänger und Musikverleger
In den letzten Jahren verfolge ich in sozialen Medien, wie der Black History Month in den USA zelebriert wird und als Institution auch innerhalb der deutschen Black Community Einzug hält. Ich feier’ das sehr! Kann ich mir vorstellen, dass der BHM auch in Deutschland offiziell Feiertagsstatus erlangt? Nicht wirklich! Ich sehe nicht, dass wir der weiß-deutschen Mehrheitsgesellschaft einen ganzen Monat exklusiv für schwarze Geschichte abringen könnten und investiere mich deshalb erst gar nicht auf so ein Projekt. Die hiesigen historischen Voraussetzungen sind einfach andere als etwa die in den USA, wo Sklaverei offiziell über 200 Jahre lang gesetzlich festgeschrieben war, eine Nation aus dem systematischen Handel und der unverblümten Ausbeutung von Afrikaner*innen hervorgegangen ist und bis heute aufgrund der Folgen dieses zig-millionenfachen Menschenraubes – logischerweise – nicht zur Ruhe kommt. Außerdem darf man nicht vergessen, dass die Nachkommen der ersten Sklavengenerationen vorsätzlich, ihrer genuinen Geschichte beraubt wurden. Der BHM erfüllt in den Staaten also einen stark bewusstseinsbildenden Auftrag, gerade für entwurzelte Schwarze Menschen. Die Fokussierung auf Schwarze Geschichte, insbesondere auch auf Errungenschaften schwarzer Innovator*innen, in Wissenschaft und Kultur stärkt sowohl das Selbstbild der durch Sklaverei und Diskriminierung jahrhundertelang gebeutelten Schwarzen Minderheit, als auch das Verständnis der, für solch historische Realitäten, wenig sensiblen weißen Mehrheit der amerikanischen Gesellschaft.
Ich hier in Deutschland bin aber geprägt von der Erziehung zweier nigerianischen Igbos, für die die Weitergabe von kulturellem Erbe heilige Pflicht der Familie und des kulturellen Umfeldes ist. “Wer nicht weiß woher er kommt, kann auch nie wissen, wohin er/sie/es geht.” ist deren Devise. Für mich wäre ein BHM also eher bewusstseinfördernd als bewusstseinsbildend. Ich weiß – zumindest kulturell – woher ich komme. Zurück zu Deutschland: Die Deutschen waren schon im transatlantischen Sklavenhandel des 17. Jahrhunderts involviert, verursachten grauenhafte Genozide in ihren afrikanischen Kolonien ab dem auslaufenden 19. Jahrhundert und struktureller Rassismus bleibt hierzulande auch heute noch ein gewaltiges und bisher unbewältigtes Problem; von wilhelminischen Völkerschauen und nazideutschen Zwangssterilisationen will ich erst gar nicht anfangen. Trotzdem, einen BHM wird die biodeutsche Mehrheitsgesellschaft nicht raffen.
Was ich mir allerdings sehr gut vorstellen kann und letztendlich auch von Deutschland erwarte, wäre ein fest im Schul-Lehrplan verankertes Bildungsangebot zu Schwarzer Geschichte und verbriefte Maßnahmen für Reparationsleistungen der Deutschen an die Nachkommen der Opfer deutscher Vernichtungswut. Das bleibt uns Deutschland weiterhin schuldig.
Ich wünsche mir, dass mein Sohn von seinen Lehrer*innen über den deutschen Anteil an Gräueltaten an BiPoC unterrichtet wird und dass in dem Zuge eine gesamtgesellschaftliche Sensibilisierung für BiPoC-Themen stattfindet. Ich z.B. musste mir in der Schulzeit noch vom eigenen Klassenlehrer anhören, dass der sich nicht als der “N***” der Klasse versteht, nur weil die Schüler*innen sich von ihm mehr Entertainment im Unterricht wünschten. Solche, aus fehlender Sensibilität, rührenden Verletzungen stechen bis heute. Und am meisten stechen sie, weil sie von mir und meinesgleichen in meiner Schulzeit nicht nennenswert erwidert werden konnten. Wir waren zu wenige und wussten auch nicht, wie man dieser himmelschreienden Ignoranz begegnet.
Das bringt mich zu meinem eigentlichen Punkt. Was ich mir noch über einen BHM oder Schwarzer Geschichte im Lehrplan hinaus wünsche, ist, dass meine Schwarzen Brüder und Schwestern sich noch viel effektiver, weitreichender und forcierter als geschlossene Stimme organisieren. Die meisten von uns leben in zweiter Generation in Deutschland und spätestens die dritte müsste ganz selbstverständlich in Gremien organisiert sein, die die vielfältigen Interessen Schwarzer Menschen endlich mit Nachdruck vertreten. Ich spreche hier sowohl von historischer Bildung, politischem Aktivismus, als auch betont von Kauf- und Investitionskraft innerhalb unserer eigenen Migrationsgruppe. Ich träume von eigenen Schulen und eigenen Versammlungsräumen, in dem Sinne, dass sie uns tatsächlich gehören. Denn erst, wenn uns die deutsche Marktwirtschaft als signifikant wahrnimmt, werden wir die Geschichte des Landes nachhaltig und nach eigener Maßgabe mitprägen können. Wir müssen uns selbst empowern, statt auf die weiße, für Schwarze Interessen noch ungebildete, Gesellschaft zu warten.
Kofi Shakur, Autor, Sozialwissenschaftler, Aktivist
Schwarze Geschichte ist unglaublich vielfältig, mehrsprachig, kulturell divers und auf der ganzen Welt präsent: überall dort, wo Schwarze Menschen leben. Die Beiträge zur Weltgeschichte, die von Schwarzen Menschen immer wieder geleistet wurden und werden, für sich selbst und für andere, wurden durch die systematische Arbeit der weißen Vorherrschaft, durch Kolonialismus und Versklavung unter der Fahne des imperialen Kapitalismus, buchstäblich aus der Geschichtsschreibung ausgelöscht und durch den Mythos einer geschichtslosen und infantilen „Rasse“ ersetzt. Auch heute noch werden Schwarze Menschen weltweit unterdrückt und ausgebeutet: von den miserablen Lebensbedingungen durch die Abhängigkeit, die dem afrikanischen Kontinent durch die ehemaligen Kolonialmächte aufgezwungen wurde und die bis heute fast jeden Keim progressiver Entwicklung erstickt, über die tödlichen Grenzen Europas bis zu dem völkischen Nationalismus und dem brutalen Rassismus in Ländern wie Frankreich, den USA und Deutschland. Täglich gibt es Berichte von rassistischen Angriffen, Verschärfungen des Asylgesetzes, Abschiebungen und Waffendeals mit terroristischen Regimen, die die Profitinteressen kapitalistischer Unternehmen absichern, die ihren Sitz auch oft – wie die Bayer AG, der inzwischen Monsanto gehört – in Deutschland haben. Überall, wo Unterdrückung ist, gibt es jedoch auch Widerstand. Der Black History Month vergegenwärtigt dessen Geschichte und sucht nach der Verbindung von vergangenen und aktuellen Kämpfen. Im heutigen Kamerun, Togo, Tansania, Burundi, Ruanda und Namibia fanden von der Aufteilung der afrikanischen Kolonien 1884 in Berlin auf der sogenannten Kongokonferenz bis zu den blutigen Höhepunkten der Niederschlagung des Maji-Maji Aufstandes in Tansania 1907 und dem Genozid an den Ovaherero und Nama in Namibia von 1904-1908 mehrere, teils Jahrzehnte dauernde Widerstandskämpfe gegen die deutsche Besatzung und diejenigen, die mit ihr kooperiert haben, statt. 2015 hat Deutschland im Rahmen des Khartoum-Deals mit dem Regime von Omar al Bashir im Sudan wie momentan durch die Finanzierung und Ausbildung von Milizen in Libyen im Grunde direkt die Jagd auf geflüchtete Menschen unterstützt und Verantwortliche für Genozid und Vertreibung ausgerüstet. Auf der anderen Seite gab es in den letzten Jahren auch hier vor Ort viele Kämpfe von Geflüchteten und Migrant*innen: das Protestcamp am Oranienplatz oder die selbstverwalteten Räume in der leerstehenden Gerhart-Hauptmann-Schule in Kreuzberg, Proteste gegen Abschiebungen in Bremen, Ellwangen, Deggendorf.
Als Mussolini 1935 eine Invasion des heutigen Äthiopiens vorbereitete, gab es eine weltweite Kampagne von Schwarzen Arbeiter*innen und revolutionären panafrikanistischen Organisationen, sich zur Not selbst zu bewaffnen und dem italienischen Faschismus entgegenzustellen. Mehr als hundert Jahre vorher, 1804, hatten sich die versklavten Afrikaner*innen in Haiti nach einem langen antikolonialen Befreiungskrieg die Unabhängigkeit von Frankreich erkämpft. Die Insel diente anschließend als Basis für Rebellionen in den USA und exportierte Sklav*innenaufstände in die ganze Karibik. Der Black History Month sollte ein Anlass sein, sich genauer mit diesen Ereignissen zu beschäftigen, und mit Namen wie Walter Rodney, Claudia Jones und Fred Hampton auseinanderzusetzen, keine Ausrede, es im restlichen Jahr nicht zu tun.
Aminata Touré, Politikerin
Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, dass es einen BHM gibt, der ja schon 1926 durch Carter G. Woodson ins Leben gerufen wurde, da es notwendig ist – nach wie vor – deutlich zu machen, dass Schwarze Menschen, Schwarze Errungenschaften, Schwarzes Wirken in der Geschichtsschreibung, die als objektiv gilt, aber eigentlich weiß und männerdominiert ist, nicht auftaucht. Der BHM versucht ja genau darauf aufmerksam zu machen.
Wir brauchen diesen Monat im Jahre 2020 nach wie vor, weil viele Menschen immer noch keine Ahnung davon haben, dass Schwarze Menschen eben nicht nur Opfer in der Geschichte, sondern quasi selbst Akteur*innen waren. Und diese Perspektive, dieses Handeln, dieses Wissen und diese Geschichte muss nach vorne gestellt werden. Ich denke, dass durch den BHM, durch die Veranstaltungen, durch das ‘sichtbar machen’ von Schwarzer Geschichte, es am Ende des Tages dazu führt, dass mehr Menschen darüber nachdenken und reflektieren. Vielleicht reflektieren und dekonstruieren sie, was sie für die ‘Geschichte’ gehalten haben und merken ‘Da gab es viele krasse Menschen, auch Schwarze Menschen, die ihren Beitrag geleistet haben.’ Was natürlich klar ist, aber leider nicht für viele Menschen. Gestern erst war ich bei einer Ringvorlesung an der Uni Lübeck. Ich habe dort einen Vortrag zum Thema ‘Koloniale Kontinuitäten und Schwarzer Widerstand’ gehalten. Am Anfang der Runde habe ich gefragt: ‘Wer von euch kennt den BHM?’ Und es haben sich wirklich nur vereinzelt Menschen gemeldet. Deswegen denke ich, dass die Notwendigkeit immer noch da ist, weil einerseits über diesen Monat nicht Bescheid gewusst wird und andererseits aber auch nicht über die Schwarze Geschichte. BHM ist dann nicht mehr notwendig, wenn Menschen mit einer Selbsverständlichkeit Schwarze Menschen kennen wie May Ayim oder Tahir Della oder Katharina Oguntoye oder Tupoka Ogette oder, oder, oder. Wenn all diese Menschen selbstverständlicher Teil des deutschen Kontextes sind, dann braucht es den BHM nicht mehr.
Ich finde, dass der BHM eine gute Sache ist. Ich glaube, so eine konzentrierte Aktion im Februar ist total gut, aber auch im Rest des Jahres muss darauf aufmerksam gemacht werden. Ich glaube, dass der BHM nicht sehr starken Widerhall in den deutschen Medien findet. Es gibt durchaus Medien wie z.B Zett, die ganz explizit darauf aufmerksam gemacht haben. Das finde ich super und ich würde mir wünschen, dass sich noch mehr Zeitungen und Journalisten mit dieser Frage auseinandersetzen. Hier in Kiel, in der Stadt, in der ich lebe, hat das Kollektiv afrodeutscher Frauen (KOA), zusammen mit anderen Schwarzen Organisationen und andere Akteur*innen den ersten BHM in Kiel veranstaltet und wir merken, dass sich durchaus viele Menschen dafür interessieren und auch viel erfahren dadurch. Und deswegen glaube ich, dass es total relevant ist, dass sich in jeder Stadt, in jedem Bundesland, die unterschiedliche Akteur*innen überlegen, wie können wir Schwarze Geschichte eigentlich gerade auch vor Ort erzählen?